Gerhard Ochs - Zwischen 4 Uhr, 26 und 4 Uhr, 46 ( aus seinem Kurzgeschichtenband wiEderSehnen)
Zwischen 4 Uhr, 26 und 4 Uhr, 46
Im Morgengrauen des Jahres 2018 begannen mir im Kopf schwarze Früchte zu wachsen. Ich stand in Uni-form neben ahnungslosen Statuen. Was ist das für ein schäumendes Blut in meinem Herzen, fragte ich mit betäubter Stimme. An meinen Schuhen hing Morast, leicht wie Schnee. Dann ließ ich mich auf den Rand eines Kochfeldes nieder. Mag sein, dass ich meine
schlechten Gewohnheiten liebe, sicher aber ist, dass ich die Menschheit nicht liebe. Ich liebe die Männer nicht, und ich liebe die Frauen nicht, ich liebe die Kinder nicht, und ich liebe die Alten nicht, ich liebe nicht diese Stadt, nicht dieses Land, nicht diesen Kon-tinent, nicht diese Erde. Ich liebe weder das Sonnen-system noch das Universum, weder die Natur noch den lieben Gott. Ich liebe die Erinnerung nicht und die Hoffnung nicht. Ich bin ins Schreiben nicht und nicht ins Vorlesen verliebt. Ich bin in garnichts verliebt, nicht einmal in mich selbst. Ich finde es nicht liebenswert, dass ich nichts liebe. Und ich finde es auch nicht lie-benswert, dass ich es nicht liebenswert finde, nichts zu lieben. Und eben das finde ich nicht liebenswert. Und liebe es nicht, dass ich nicht liebe, was ich nicht liebe, weil ich auch das, was ich nicht liebe, nicht lie-be und das, was ich nicht liebe, ebenfalls nicht. In diesem Augenblick im Morgengrauen des Jahres 2018 rief aus fernen Büschen die silberne Nachtigall nach mir. Ich fiel glücklich und erschöpft in einen Schlaf, der tief und rein war.