Grundschule Langförden (Hg.): An meiner Hand durch alle Welten. Ein Schreibprojekt von Grundschule Langförden und Geest-Verlag - Das Vorwort von Verlagsleiter Alfred Büngen zum Schreibprojekt und zum Literarischen Schreiben mit Kindern
Schreiben entwickelt Erzählwelten für alle
Dimensionen eines besonderen Schreibprojekts
Ist das Schreiben nicht antiquiert?
Sicherlich eine provozierende Frage, jedoch angesichts des vielfach untersuchten Schreibe- und Leseverhaltens von Kindern und Jugendlichen eine nicht überflüssige Frage, denn längst haben scheinbar Bildmedien die Fantasiewelt des Buches für die Kinder abgelöst. In den Schulen überwiegt das funktionale Schreiben gegenüber den poetisch-literarischen Ansätzen. Nun soll an dieser Stelle keine schreibdidaktische Diskussion geführt werden, doch ist der Verlust von Schreibkompetenz in der Breite nicht allzu schwer festzustellen. Lückentexte mit kompatiblen und rechtlich abgesicherten Worteinätzen auf vorgedruckten Bögen haben schon seit Langem das freie oder auch diktierte Schreiben in allen Unterrichts-fächern abgelöst. Und die Stimmen derer, die das Buch durch Tablets oder andere technische Medien abgelöst wissen wollen, werden immer lauter, setzen sich zudem überall auch im ländlichen Raum durch. Vorbereitung auf das spätere Berufsleben, zielgerichtetes Arbeiten, aktuelle Informationen etc. sind die Argumente der Befürworter.
Und nun ein erneuter Schreibtag mit mehr als 200 Kindern, die sich frei und eigenverantwortlich an Schreibstationen ausprobieren duften? Ein Schreibtag, dessen erklärtes Ziel es ist, ein Buch zu schaffen, in dem Kinder und Erwachsene gleichermaßen stöbern können, um die Welten und Fantasien der anderen zu entdecken. Ist ein solches Vorhaben nicht von vorherein zum Scheitern verurteilt?
Nun, das Vorliegen dieses Buches selbst zeigt, dass das Vorhaben alles andere als gescheitert ist. Die jungen Autorinnen und Autoren der Grundschule verfassten an einem einzigen Tag so viele Texte, dass wohl zwei solcher Bücher mit weit mehr als 300 Seiten hätten er-scheinen können. Dieses Buch beschränkt sich, der Tra-dition der ersten drei Bücher folgend, auf eine Textauswahl der dritten und vierten Klassen. Die Texte der ersten und zweiten Klassen werden in gesonderter Heftform erscheinen.
Doch nicht allein das Vorliegen der Texte ist entschei-dend. Vielmehr muss man den Prozess der Entstehung der Texte selbst betrachten: Die Kinder hatten die Möglichkeit, an einem Schreibtag zwischen jeweils etwa 15 Schreibstationen frei zu entscheiden, wann, wie und was sie schreiben wollten. Über die ganze Schule verteilt fanden sie Schreibstationen vor, die von Verantwortlichen (LehrerInnen/Pädagogische MitarbeiterIn-nen/HelferInnen des Verlags und auch den Kindern selbst) ausgestaltet worden waren, um sie in besonderer Weise zum Schreiben zu animieren. Am Tag davor waren die Kinder in diese Schreibstationen eingeführt worden.
Wie bei vielen unserer Schreibprojekte mit Grundschulen haben die Kinder am Schreibtag mit besonderer Intensität geschrieben. Kein Chaos, vielmehr intensives eigenverantwortliches Arbeiten der Kinder fand statt; auch die Zusammenarbeit zwischen Schreibpaten und ihren Schützlingen klappte hervorragend. Am Ende des Tages lag ein riesiger Berg an Texten vor, von denen einige Kinder schon erste Beiträge vorlasen.
Am dritten Tag des Projekts überarbeiteten die Kinder ihre Texte noch einmal in Ruhe und bereiteten die Präsentation vor. An diesem Nachmittag lasen nun alle Kin-der dezentral an den Schreibstationen einzelne Texte vor. Viele Eltern, Großeltern und Geschwister waren der Einladung gefolgt und hörten zu, sprangen auch ein, wenn es mal mit dem Lesen nicht so gut klappte. Dazu gab es die Stellwände, auf denen die Kinder festgehalten hatten, wer die ihnen wichtigsten Personen sind.
Es war ein Nachmittag, bei dem alte Erzählkultur Einzug hielt, berührend und wichtig für eine junge Generation. Es hieß eintauchen in die Welt der Fantasie des Buches, sich anstecken lassen von den Fantasien der Kinder, un-gewöhnlichen und überraschenden Gedankengängen folgen, an der Freude der jungen Autorinnen und Autoren teilhaben.
Schon jetzt freuen wir uns auf die ganz besondere Buchpremiere in einem festlichen Rahmen mit vielen Gästen, wo Kinder ihre Texte vor vielen Erwachsenen und Mitschülern präsentieren werden. Und an diesem Abend werden viele Menschen überall in den Häusern in ihrem Buch blättern und stöbern. Was hat mein Freund, meine Freundin geschrieben, was ist für ihn/sie ein wichtiger Ort?
Nach nunmehr 15 Jahren begegne ich den mittlerweile erwachsenen Schreibern unserer ersten Buchprojekte mit Grundschulen. Sie wiederholen mir nach all den vielen Jahren noch heute auswendig die Sätze, die sie damals geschrieben haben und auf die sie noch heute stolz sind.
Zu den Anfangsbemerkungen zurück: Ein Buch ist nicht so rasch vergänglich. Ein Buch bedarf genauen Abfas-sens der Texte, verlangt nachdenkendes Schreiben. Bücher sind unersetzlich, verlangen aber die Anstrengung des Nachdenkens und Nachfühlens.
Und antiquiert? Wir empfanden sie als sehr modern, die mehr als 200 Kinder der Grundschule, die 50 Schreibpaten, die vielen beteiligten Lehrer und Lehrerinnen und die Helfer- und Helferinnen des Schreibprojekts, die gemeinsam ihre Schreibwelten entstehen ließen, sich er-zählten, mitfühlten und viel Spaß hatten. Und wie sagte einer der Schüler zum Abschluss des Projekts: „Das hat Spaß gemacht, heute durften wir nicht nur schreiben, heute durften wir auch noch selbst denken.“
Alfred Büngen
Leiter Geest-Verlag