Im der lektoralen Arbeit: Jutta Urbigkeit - Frag nicht so viel
Jutta Urbigkeit
Frag' nicht so viel
Geest-Verlag 2020
Jutta Urbigkeit, 1951 in Essen geboren, veröffentlichte einige Kurzgeschichten in Anthologien, darunter 2015 in: „Die Sachensucherin“, 55 Kurzgeschichten, Wettbewerb des Literaturbüros Ruhr.
„Frag‘ nicht so viel“ ist ein Satz, den Anna als kleines Mädchen und später als junge Frau häufig zu hören bekommt. Als Anna Anfang der 1950er Jahre im Ruhrgebiet geboren wird, herrscht Aufbruchsstimmung nach dem Krieg - eine Mischung aus überschäumendem Lebenswillen, rigidem Katholizismus und materieller Not. Beide Eltern versuchen, eine kleinbürgerliche Idylle zu erschaffen, die jedoch schon früh tiefe Risse bekommt, obwohl man verzweifelt versucht, die heile Fassade aufrecht zu erhalten. Der geliebte, aber schwache Vater ist Handlungsvertreter für Köllnflocken, die dominante, lebenshungrige Mutter hilft stundenweise in einem Lebensmittelgeschäft aus, zuhause „fliegen die Schlappen“ und Anna und ihre drei Geschwister ziehen die Köpfe ein. Nach mehreren Umzügen lebt die Familie schließlich in Essen-Freisenbruch in einem bescheidenen Eigenheim.
Anna erzählt von ihren Eltern, ihren Geschwistern, ihren Nachbarn und Freundinnen, von kindlichen und erwachsenen Dramen, die häufig nur versteckt in Nebensätzen aufblitzen, von zerplatzten Träumen und kleinen Siegen. Und von der ganz normalen alltäglichen Gewalt in einer Zeit, in der Kinder zwar viele Freiheiten hatten und allein draußen spielen durften, aber in der es auch normal war, Kinder strafend zu verprügeln, sie mit Aufgaben zu überfordern oder sie einfach allein zu lassen.
Anna versucht, ihre Welt in Worte zu fassen, auch, wenn sie sexuelle Übergriffe erlebt, die die Erwachsenen ignorieren. Hartnäckig versucht sie, ihren Kopf über Wasser zu halten. Annas mal schmerzhafter, mal komischer Balanceakt zwischen Anpassung und Befreiung ist auch eine autobiographisch gefärbte Emanzipationsgeschichte und eine subtile Milieuschilderung fernab idyllisierender Ruhrgebiet-Klischees.
Jede der 41 Geschichten hat einen eigenen Spannungsbogen und ist in sich abgeschlossen, doch zusammen ergeben diese Texte ein großes Mosaikbild, das zeigt, wie man zu dem Menschen wird, der man ist.