Reinhard Rakow - Dezemberblues




1. Ich möchte einer der Läden sein


Ich möchte einer der Läden sein,
In die keiner geht,
Am Straßenrand liegend, für Reiche zu klein,
Zu schmutzig, zu staubig, zu spät.

Man führe vorbei. Aus den Augwinkeln raus
Nähme man mich flüchtig wahr:
Eingezwängt zwischen Blocks ein schäbiges Haus,
Gläser matt, Eingang einer Bar,

Enger Durchlass zum Hinterhof, Mülleimer, ein großes Schild:
Komme später wieder, vielleicht”.
Rostlicht maroder Laternen stillt
Den Durst des Pflasters; leis weicht

Dezemberstimmung die Bordsteine auf.
Tief hinter den Scheiben
Werkelt ein Wer, tut so, als ob einer was kauf́,
Und wenn nicht? Er wird bleiben.

Er wird der Schatten von gestern sein,
Matt, schäbig und altersschf,
Den Straßenstaub küssend, für andre zu klein,
Zu faltig, zu narbig, zu tief.

Man führe vorbei.
Man würde die Zielzeit ermessen.
Man führe vorbei.
Und mit halbem Kopf hätt´ man den Laden vergessen.



2. Taubentage

Man wartet auf den Brief, den niemand schrieb:
Die gute Nachricht, die den Tag erhellt,
Für die entführten Wünsche bar das Lösegeld,
Für die begrabnen Träume Freiheit wie Auftrieb.

Der Moment, der alles, alles wendet:
Zum Licht die Nacht, die Pleite zum Erfolg,
Der endlich Anerkennung schafft dir breit im Volk:
Ein Wahn, mehr nicht!, verblendet, unvollendet

Der Wind treibt träge Tauben vor sich her.
Wieder ein Sommer mehr, der zu rasch vergangen.
Wieder ein Jahr. Du aber bleibst übergangen.


Nutzlos die Klingel schweigt — vielleicht zu sehr ...
Wieder ein Tag lauter Schreie der Wände,
Wieder ein Tag näher, vertrauter dem Ende.


3. Dezember


Vor dem Kaufhaus, traumgezeichnet,
Bunte Fetzen, regenweiche,
Vom Papier der Posterwand,
Schimmel schwitzend, Kleister klebend,
Winterblau verschattet.
Einkaufswagen, leer und stumm,
Suchen auf dem Kopfsteinpflaster
Ihre Herden, leise klappernd.
Und draußen auf der Straße
Ein Wagen zischt durchs Nass.


Das Satzungsgrün ist unbelaubt.
Ein rostgerolltes Buchenblatt
Weiß nicht woher wohin.
Ein unentschied́ner Regenwind
Gibt schlaff nur den Lustlosen.
Ne Flasche Bier, noch halb gefüllt,
Dreht sich um sich, bevor sie nimmt
Den Pfützenpfad mit Dosen.
Und draußen auf der Straße
Ein Wagen zischt durchs Nass.


In Parkplatzleuchten Neon zuckt.
Zwei Plastiktüten ziehn uḿs Haus
Bis zu der nächsten Ecke.
Der Weihnachtsbaumverkäufer friert.
Er setzt den Flachmann an und trinkt.
In den Container steigt, wer kann,
Zum Schutz vor Feucht und Kälte.
Licht frostig blitzt. Tropf Nebel sinkt.
Und draußen auf der Straße
Ein Wagen zischt durchs Nass.