Und so geht es miteinander - Kommende Woche im Rahmen einer Projektwoche wird das Schreib- und Buchprojekt mit der Oberschule Emstek vorangetrieben - kommenden Freitag erste öffentliche Präsentation - Der Beginn des Romans

Und so geht es miteinander?!

Veränderungen in den Kommunikationsstrukturen

in den letzten 50 Jahren

 

 

Zielsetzungen

Mit Jugendlichen einen Roman erarbeiten, in dem die Veränderungen der Kommunikationsstrukturen in der Bundesrepublik deutlich werden, die Veränderung in der Bedeutung für den Einzelnen diskutiert und bewertet wird.

 

 

Die Kommunikationsstrukturen werden in einer Art Familiensaga beschrieben. Einmal spielt das Geschehen

im Jahr 1950,

einmal im Jahr 1975

und einmal heute.

Wie verhalten sich die Menschen untereinander, wie gestalten sie ihre Beziehungen, wie informieren sie sich etc.

 

Der Beginn des Romans, der nun in den nächsten Tagen endgültig entsteht:



Kurz nach Dreikönig 1949 in Emstek. Seit Tagen fällt die Temperatur, inzwischen auf fast -30 Grad in den frühen Morgenstunden. Die Landschaft ist unter einer hohen Schneedecke versunken, alles sieht wie erstarrt aus. Dabei ist das Leben in diesen wenigen Jahren nach Krieg und Nationalsozialismus schon gar nicht mehr so erstarrt. Bis auf wenige sind fast alle Männer, die als Kriegsteilnehmer fort waren, wieder nach Hause zurückgekehrt. Mehr als 7.000 Bewohner leben nun in Emstek, davon fast ein Drittel Flüchtlinge aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien.

Das Dorf sieht ganz anders aus als heute. Die Dorflinde wächst noch mitten auf dem Marktplatz und auch die Hauptstraße säumen noch dicke Bäume. Einmal am Tag fährt noch der Güterzug mit Personentransport zwischen Cloppenburg und Vechta. Der Aufbau des Dorfes macht mittlerweile große Fortschritte. Die Flüchtlinge brauchen Häuser und so entstehen in kurzer Zeit mehr als 90 neue Wohnungen. Das Telefon ist noch ein eher seltenes Relikt. Den Fernseher gibt es noch gar nicht. Die Volksschule, die dort steht, wo sich heute das Rathaus befindet, wird von fast 100 Kindern besucht. Überwiegend lebt man von der Landwirtschaft, Schweine- und Rinderzucht. Trecker sind selten anzutreffen. Pferde und Wagen sind noch die gebräuchlichen Transportmittel. Mehr als 1100 Pferde gibt es auf dem Gemeindegebiet Emstek. Durch den rasanten Bau von Häusern gibt es aber auch zahlreiche handwerkliche Berufe in der Gemeinde: Zimmerer, Schuhmacher, Schmiede, Schneider, Maurer, Klempner, Hutmacher und viele mehr. Sogar einen Radioinstallateur kann man bereits finden. Noch hörte man nur gezielte Radiosendungen auf der Mittelwelle. Und was war mit den Jugendlichen?

 

 

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Ingrid, 15 Jahre, ist eines der protestantischen Flüchtlingskinder. Sie ist aus Breslau hierher nach Emstek gekommen. Mit ihrer Mutter zusammen wohnt sie im Altenteil auf dem Hof von Marions Eltern. Ihren Vater hat sie nur als kleines Kind irgendwann einmal gesehen. Sie hat kaum noch eine Erinnerung an ihn. Er ist einer der vielen, die in Stalingrad gestorben sind. Vor den anrückenden sowjetischen Truppen ist ihre Mutter mit der zehnjährigen Tochter und wenigen Habseligkeiten im letzten Moment aus Breslau geflohen und durch Zufall nach Emstek gekommen. Eigentlich wollte sie zu einer entfernten verwandten ins Ruhrgebiet.

 

Diese Nacht war grausam. Es war so kalt, ich war so hungrig. Gestern Abend gab es kein Essen, denn es war einfach nichts mehr da. Und bei Bauern um Essen betteln, nein, das will ich nicht. Vielleicht gibt es morgen wieder ein paar Lebensmittel von der Bauernfamilie. Mama bekommt für ihre Arbeit kein Geld, sondern nur Naturalien, Kartoffeln, Mehl und Eingemachtes.

Bei diesen Temperaturen friert mir alles weg. Naja, ist ja auch egal. Eigentlich muss ich auf die Toilette ... aber es ist draußen noch dunkel, kein Wunder um fünf Uhr morgens. Es ist mir ein wenig unheimlich. Vielleicht trete ich auf eine Ratte oder so etwas. Die Toilette ist wahrscheinlich sowieso eingefroren, das will ich nicht riskieren. Ich lasse es lieber. Dann werde ich mich wohl anziehen, Rock, Stumpfhose und meinen Pullover. Wenigstens habe ich einen. Ich muss doch so dringend ... Ich gehe jetzt einfach. Mann ist das kalt und dunkel. Nicht mal die Toilette sehe ich. Gut, dass ich den Weg kenne. Zumindest ist Zeitungspapier zum Abputzen da. Jetzt aber rasch zurück ins Bett. Die Küchenuhr zeigt sechs Uhr. Noch eine halbe Stunde.

„Ingrid, es gibt Frühstück!“

„Ok!“

Sofort bin ich da. Endlich was essen. Aber wie jeden Morgen nur Schwarzbrot mit Zucker. Wie jeden Morgen kein Wasser. Wie jeden Morgen alles eintönig und kalt. Wenn ich da an Marions Familie denke ... die hat bestimmt wieder Pfannkuchen zum Frühstück.

O nein, schon 6:30 Uhr, in fünf Minuten muss ich los zur Kirche. Wie jeden Morgen. Eben schnell aufessen und die Haare zu Zöpfen flechten. Mist, meine Schuhe sind weg.

„Mama? Wo sind meine Schuhe?“

Es kommt keine Antwort, also gehe ich ins Schlafzimmer. Wieder Mist. Ich will schon wieder weggehen, da entdecke ich die Schuhe in einer Ecke des Zimmers. Mutter hat sie wohl gestern Abend noch gesäubert.

„Ingrid, kommst du?“, ruft Marion, die Tochter der Hofbesitzer und meine Klassenkameradin von draußen.

„Ja, ich komme!“

Marion und ich gehen das erste Stück des Weges zusammen zur Kirche. Doch auf den letzten fünf Metern trennen wir uns. Wie jeden Morgen. Niemand darf uns zusammen sehen, schließlich bin ich Protestantin und sie Katholikin. Dennoch muss ich zur Kirche. Das ist Pflicht für alle Kinder. Nach den 45 Minuten Kirche gehen wir alle gemeinsam über die Straße zur Schule. Zu Beginn der Stunde wird für mich, das arme Flüchtlingskind mit dem falschen Glauben, gebetet. Für mich! Immer wieder werde ich so gedemütigt ... Verdammt. Meine Finger sind dreckig, und da kommt schon der Lehrer mit seinem Stock. AU! Das tat weh.

„Ingrid! Wasch dir die Hände und stell dich in die Ecke! Oder ist das bei Protestanten nicht üblich?“

Ich bewege mich mit beschämtem, nach unten gerichtetem Blick zum Waschbecken.

„Ingrid, heute noch!“ Ich beeile mich, gehe zügig in die Ecke und starre die Wand an.

Jetzt stehe ich mir hier seit einer Stunde die Beine in den Bauch. Zum Glück nur noch eine halbe Stunde, dann bin ich erlöst.

„Ingrid, pass gefälligst auf! Dieses Thema ist sehr wichtig!“

Ich versuche aufzupassen, doch meine Gedanken geben einfach keine Ruhe. Sie kreisen und kreisen und ... Die Schulglocke ertönt.

„So, Pause, Kinder!“