Weihnachten früher und heute - Helga Thorwart-Bönker

Weihnachten früher und heute
Helga Thorwart-Bönker

Was ist anders am Weihnachtsfest als früher? Auf den ersten Blick nichts, der Heilige Abend ist am 24. Dezember seit eh und je. Manches Mal am Anfang der Woche, das ist günstig für die Arbeitnehmer. Oder in der Mitte, oder aber, wie in diesem Jahr, am Wochenende, sodass es keinen zusätzlichen Feiertag gibt. Wie war es früher? Weihnachten ist das höchste Fest für uns Christen. „Christ ist geboren!“ Wer denkt heute noch darüber nach? Damals war die Adventszeit eine ruhige, stille, geheimnisvolle Zeit. Als wir noch Kinder waren, brachte das Christkindchen die Geschenke. Man musste artig sein, wenn es et-was geben sollte! Es war spannend und aufregend. Dann beschenkten uns die Eltern, bis wir später für unsere Kinder einkaufen mussten, da war es nur noch aufregend. Es liegt wohl an unserem Alter, dass wir das Fest nicht mehr so schön finden, wie es frü-her war. Schon unsere Urgroßeltern sagten: „Wiehnachten is wat för Kinner, die könnt sück dor noch tau frahen.“
Elektrizität gab es in den meisten Häusern außerhalb des Dorfes oder der Hauptstraße noch nicht, so war alles dunkel. Selbst das Dorf war unbeleuchtet, keine Straßenlampen, keine Weihnachtsbeleuchtung. Nur am Heiligen Abend, nach dem Christgottesdienst, standen in allen Fenstern Pyramiden mit Kerzen – wie auch heute noch. Man sagt, die Lichter sollten den auswärtigen Gottesdienstbesuchern, die mit Kutschen oder zu Fuß gekommen waren, nach Hause leuchten. Wenn meine Eltern und ich auf dem Heimweg an den Fenstern vorbeigingen, brannte schon in manchen Stuben der Weihnachtsbaum. Was ist bei uns? War das Christkind schon gekommen und wir waren nicht zu Hause? Meine Schritte wurden immer schneller.
Heute werden gleich nach Totensonntag die Girlanden mit elektrischen Birnen aufgehängt. Kahlen Lin-den, Fliedersträuchern oder anderen Büschen werden Lichter, fast hätte ich geschrieben ‚Hörner‘, auf-gesetzt, oder sind es gar Hörner, sollen die Sträucher glauben, sie seien Tannenbäume?
Am Abend, wenn die Lampen brennen, ist es ganz hübsch, wenn alles blinkt und blitzt, aber am helllich-ten Tag sieht es komisch aus. Aber wie heißt es einmal in der Werbung: „Strom kommt sowieso ins Haus, nutze es aus!“
Geschenke gab es früher auch, aber bescheidene, was man eben brauchte, und für die Kinder etwas zum Spielen. Meine Großeltern fuhren immer einmal vor Weihnachten mit der Kleinbahn nach Quakenbrück: ‚Chrüsskindken koopen!‘ Das brauchen wir jetzt nicht mehr, denn was unsere Enkel auf den Wunschzettel schreiben, können wir nicht einmal richtig aussprechen. Also sind Omas und Opas nur noch Schein-Werfer?
Hektik zu Weihnachten gab es früher auch, nur es hieß anders. „Wat häb wie det noch drokke! Wie möt noch schiächten, det dei luttersken Fasten uphört, noch einmoal dampen, bevor da Schnei kump und noch den Deipstahl utmessen. Nu Räuwen luken, alle Doage Räuwen luken.“ Mutter sagte oft: „Ick wull doch det et nen beten fröß, det die Räuwen nich los güngen. Ich mot noch Joahrskauken backen!“ Aber, was nützte es, dann mussten Runkeln eingeholt werden, das Vieh verlangte sein Recht, wusste nichts von Weihnachten! Diese Arbeit brauchen wir nicht mehr zu machen – und haben doch keine Zeit. Jeden Sonntag ist irgendwo ein Weihnachtsmarkt oder ein Basar. Jeder Verein hat seine Weihnachtsfeier. Man kann nicht überall hinkommen. Wenn ich an das Fest in meiner Kindheit zurückdenke, sind es meistens die Kriegsjahre, an die ich mich erinnere. Alles war verdunkelt. Es gab kaum etwas zu kaufen. In den Städten hungerten die Leute. Wir hatten hier mit der Le-bensmittelversorgung nicht so große Probleme, aber behelfen mussten wir uns auch. An Heilig Abend und am ersten Feiertag wurden auch die Bombenangriffe ausgesetzt. Kurz vor dem Fest 1944 saßen wir alle in der warmen Stube, hörten ein Flugzeug brummen und Vater sagte: „Glieks kump Alarm!“ Plötzlich ein Riesenknall. Vater stürzte gleich nach draußen. „Die ganze Eilm brennt, Strangmeiers ock!“ Er gleich los mit dem Fahrrad; war ja Feuerwehrmann. Bald kam er wieder und berichtete, es sei ein deutsches Jagd-flugzeug abgestürzt und Strangmeiers hätten nichts abgekriegt. Das war auch eine Weihnachtsbeleuchtung, eine grausame, an die ich immer denken muss, wenn der Nebel so wie neulich über die beleuchteten Giebel wabert.

Plätzchen backen war so wie heute etwas Besonde-res. Mutter sang immer Weihnachtslieder dabei. Mir ist das nie eingefallen, aber ich konnte auch nicht so gut singen. Oma meckerte: „Mit ahle die lütken Fäm-kes die Plätzchen utsteken, det dürt ja fehls tau lan-ge, ick nöhmt nen Wienglas un steggede Plätzkes ut.“ Dann gab es noch Sirup- und Eierplätzchen. Wenn einige Freundinnen bei mir zum Spielen ka-men, sangen wir auch Weihnachtslieder. Nicht wie heute „Erwin, der dicke Schneemann“, das das Spitzenweihnachtslied beim NDR 1 war. Wir sangen laut und kräftig „Leise rieselt der Schnee ...“. „Um Gottes willen kienen Schnee, doar könt wie noch lange gen-aug van haben“, rief Oma durch die Tür. Sie war ge-rade hereingekommen. Den Schnee mochte sie nicht, dann war es kalt und glatt und man musste fegen. Jetzt geht es uns nicht anders! Was nun? „Am Weihnachtsbaume, da hängt ’ne Pflaume, wer hat sie nur dahingehängt“, stimmten wir an. „Wat scholl die Blödsinn, könt gie nich wat äntlickes singen“, rief Mutter von der Stube her, sie war am Nähen. „Woar kriege gie die Wunnerlikat ahle her.“ Opa sang früher schon in der Dämmerstunde mit uns „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, der Kaiser hat innen Sack gehau ’n.“ Wo kam das Lied wohl her? Nicht aus unserer Zeit, da gab es den Kaiser schon lange nicht mehr, und Kaiser Franz war noch nicht da. „Jetzt nehmen wir den Hebammenmarsch.“ Wir sangen kräftig „Ihr Kinderlein kommet“, solange wir die Ver-se kannten. Da gab es keinen Einwand.
Das Wetter war auch damals nicht anders als heute. Es gab Kälte und Schnee, aber oft auch Regen und mildes Wetter, und unsere Ferien gingen ohne Ro-deln und Schlittschuhlaufen zu Ende. Aber es gab noch von Mitte Januar bis Mitte Februar Kohlenferien. Dann hatten die Schulen keinen Brennstoff mehr, und wir konnten den Winter voll genießen.
Es ist, wie Rudolf Kinau in seinem Gedicht ‚Wiehnachtsoabend, dann goaht wie noah bowen‘ sagt. Unsere Gedanken gehen weit zurück. Alles war ein bisschen schöner, feierlicher, so haben wir es in Erin-nerung, weil wir jung waren. Um das Weihnachtsgeschäft ging es auch damals schon, denn Vater sagte jedes Jahr: „Nu könnt dei Geschäftslühe ähr Geld teilen.“
Nun wollen wir uns auf das Christfest freuen, jeder soll es feiern auf seine Art. Ist es uns Alten zu laut, stecken wir Watte in die Ohren. Ist es zu hell, kneifen wir die Augen zu oder blinzeln nur ein bisschen. Und wo wir nicht hinkommen, bleiben wir weg. Gönnen wir den jungen Leuten den Spaß, die Industrie und der Handel machen es möglich. Die Zeit läuft weiter und die Lebensart geht mit. Wie wird es in zehn Jah-ren oder in zwanzig Jahren sein, oder in fünfzig? Weihnachten ist sicherlich noch immer am 24. und 25. Dezember – aber auch noch am 26.?