Weihnachten nach dem Krieg - Annegret Fehrlage
Weihnachten nach dem Krieg
Annegret Fehrlage
Wir lebten seit Ende November in einer Wohnbaracke. Es war eine sehr armselige Zeit. Zu kaufen war kaum etwas. Die Reichsmark hatte ihren Wert verloren. Das Tauschgeschäft blühte. Da wir mit allem Inventar abgebrannt waren, konnten wir zum Tausch kaum etwas anbieten, es sei denn, wir hatten vom Schlachten – auch das war kontingentiert – etwas übrig, eine Wurst oder ein Stück Speck, aber auch Eier und Körner waren gefragt, denn bei vielen Men-schen herrschte Hunger. Wir waren aber glücklich, hatten satt zu essen und wohnten wieder zusammen auf dem Hof. Die Baracke war sehr einfach, sehr dünnwandig und ohne jegliche Farbe. Auch elektrisches Licht gab es vorerst noch nicht. Die Petroleum-lampe gab nur wenig Licht, und das Feuer in der al-ten, aus der Asche gewühlten Kochmaschine loderte und gab uns Wärme. Es war Winter, Weihnachten kam näher. Wir Kinder freuten uns darauf, auf den ‚Tannebaum’, denn er stand als Erstes auf der Wunschliste. Wir waren mit wenig zufrieden.
Der Heilige Abend war da. Es hatte geschneit – Weihnachtswetter. Meine Oma ging mit meinem Bruder und mir an der Hand zu unseren Nachbarn an der Straße. Sie sagte, das Christkind kommt gleich, wir dürfen es nicht stören, es muss in Ruhe arbeiten können. Wir Kinder glaubten daran. Nach einiger Zeit kehrten wir voller Spannung und Freude auf den ‚Tannebaum’ zurück. Und siehe da, als wir die Kü-chentür öffneten, war das Christkind da gewesen. Die wenigen Kerzen am dürftig geschmückten kleinen Baum, der auf einem Hocker vom Arbeitsdienstlager stand, ließen unsere Augen leuchten. Möbel vom Arbeitsdienstlager waren unsere ersten Einrich-tungsgegenstände. Ach, und was gab's sonst noch? Ich hatte zwei neue blauweiße Schürzen, unterschiedlich genäht, bekommen. Sie waren auf einem Brettstuhl ausgebreitet. Waren die schön, ich sehe sie noch heute vor mir. Und was stand noch da? Ein Puppenservice aus Porzellan. War das ein Fest! Meine Mutter hatte es von einer Freundin bekommen, die keine kleinen Kinder hatte, erfuhr ich viel später. Mein Bruder, nicht weniger glücklich, bekam eine Hose, genäht aus Militärstoff, ein sehr fester, harter, haltbarer Stoff, und zum Spielen einen Gummiball. Den Ball hatte meine Mutter vielleicht auch von Bekannten ohne Kinder bekommen. Dazu noch ein Kartenspiel – ‚Schwarzer Peter’. Ich erinnere mich, es waren dünne Karten aus ziemlich grauem Papier. Ein bunter Teller wie heute?, nein, aber die schönsten Äpfel, eigene versteht sich, selbst gebackene Sirupplätzchen sowie selbst gemachte Bonbons standen auf dem Tisch. Neben all der Freude und den Überraschungen gab es das Abendbrot. Dazu hatte meine Mutter Heringssalat selbst gemacht und ein Brot gebacken. Heringssalat mit sehr wenig oder manchmal gar keinem Fisch, aber es schmeckte.
Es war ein schönes Weihnachtsfest und alle waren glücklich: Wir wohnten wieder zusammen.