Weserkurier mit begeistertem Bericht über Nicoleta Craitas Buchpremiere am Mittwochabend im Martinshof

Autistische Autorin stellt Roman vor

Stürmische Sprache auf 168 Seiten

11.09.2015
 
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Wie schon bei den vergangenen Lesungen war es auch diesmal ihr Verleger Alfred Büngen, der der Autorin seine Stimme lieh.

Büngen warnte die gut 50 Zuhörer schon vorab, es würde eine harte Kost werden. Milderung würde lediglich die Autorin selbst schaffen, die in den Lesepausen auf dem Keyboard spielen würde. Was sie dann auch tat und Stücke zwischen Barock und Romantik einbrachte.

"Kunst aus Worten"

Zum Erstaunen des Publikums erzählte Alfred Büngen später, dass Nicoleta Craita Ten’o erst seit einem Jahr Klavier spielen würde. Dazu ein Gast: „Dann sollte sie spätestens nächstes Jahr in der Glocke auftreten.“ Nein, meinte sie selbst dazu, sie sei „gnadenlos untertalentiert, ich spiele nur automatisch“. Ähnlich bescheiden übertrug sie das auch auf ihr Buch, auf ihre Art zu schreiben: Das Schreiben komme von selbst und „ich glaube nicht, dass ich mich gut ausdrücken kann. Ich versuche nur, Kunst aus Worten zu machen“.

Nicoleta Craita Ten’os Buch kennt keine Ouvertüre. Es fängt gleich mit einem Unwetter an, mit einem Orkan um uns herum, mit dem in unserem Inneren, mit dem Schicksal, das nicht fragt, sondern gleich zuschlägt: „Blitze schoben einer nach dem anderen riesige Energieblasen in flauschige, harte Wolken hinein. Ein Platzregen wie eine Ausschüttung von Stahlsplittern prasselte, peitschte den Stein. Es zischte wie Öl in der Pfanne. Er zerbarst in Milliarden von widerstandslosen, verformbaren Wassertropfen. Der Wind zog die Bäume an den Haaren, die stöhnten wehrlos auf . . .“.

Stürmische Sprache

Das Buch zieht zu Anfang also alle Register. Auch wenn der Sturm sich schon auf der ersten Seite wieder legt, die Sprache stürmt weiter. Und selbst wenn es still wird und „die Punkte, deren Aufreihung kleine Finger bilden, wie Seifenblasen im zarten Licht der Zimmerbeleuchtung schimmern und die abgebildeten Drachen auf den trüben Wänden schrillen Szenarien aus Fantasyfilmen ähneln“, dann ist das nur das Auge des Orkans, dann bereitet das lediglich den nächsten Schlag vor. Natürlich zieht einen ein solcher Einstieg in das Buch hinein, wobei sich jedoch sofort die Frage stellt: Hält das die Autorin durch? Antwort nach gut 150 Seiten: Sie hält durch. Aber hält auch der Leser durch? Hält man einen solchen sprachlichen Parforceritt aus, hält man ihm Stand?

Dabei, der Plot ist im Grunde recht einfach gestrickt. Das allerdings von Beginn an und durchgehend in einer Sprache, die scheinbar leichtfüßig daherkommt, aber ständig zu Handkantenschlägen ansetzt – und trifft: „Die Diagnose Hirnhautentzündung stand den beiden Frauen mit großen anthrazitfarbenen Buchstaben ins Gesicht geschrieben. So gezeichnet, sah Lara wie die Mumie von Tutanchamun aus, Marita wie ein leeres Blatt Papier.“

Es werden drei Schicksale beschrieben, die einander ablösen, gleichzeitig in einander verschachtelt und „zu einem Strauß zusammengefügt sind“. Die Beziehungen werden von Nicoleta Craita Ten’o gnadenlos seziert. Einmal eine Mutter-Tochter-Beziehung, dann eine Frau-Frau-Beziehung, schließlich eine Frau-Mann-Beziehung. Und aus diesen Paarungen zieht die Autorin jeweils einen Partner heraus, um mit ihm in die tiefsten Tiefen der Seele hinabzusteigen.

Nur wenige Pausen zum Durchatmen

Was wir da finden, ist nicht neu. Ängste, Psychosen, verletztes Ego, der Hang zur Selbstzerstörung, Depression, Neurose, das Der-Welt-abhanden-kommen . . . Aber die Autorin gibt diesen Seelenqualen eine Stimme, wie sie sich womöglich nicht einmal nach Jahren zwischen Arzt und Patient, wie sie sich womöglich nicht einmal im Dialog mit sich selbst ausformt. Weil zum Beispiel „die Gedanken sie mit schweren Stacheldrahtarmen umfassten“ oder wenn man blitzartig fällt, dieses Fallen „nicht lange braucht, um sich durchzusetzen. Der Zeitraum, in dem man fällt, ist kurz. Man fällt auf einmal tief. Ganz tief, und man nimmt es viel zu früh nicht mehr wahr. Wie ein kurzes Theaterstück. Erster Akt: Schimmel. Weiß-lila. Weiß-lila-blau. Schimmel. Akzente. Kombinatorik von Farbelementen. Eine durchsichtige Rücklage von Haut . . .“.

Nur wenige Male gibt Nicoleta Craita Ten’o dem Leser eine Pause zum Durchatmen. Unvermittelt erzählt sie zum Beispiel zwischendurch von Leipzig, gibt einen kurzen Abriss der Geschichte der Stadt oder durchschlendert sie in fast feuilletonistischem Ton. Ein anderes Zwischenspiel ist dann aber doch schon wieder aus härterem Stoff, dann nämlich, wenn sie ihrer Sprache endgültig freien Lauf lässt, unsortiert, assoziativ und kryptisch zum einen, in seiner Melodie dagegen aber wieder harmonisch. Es ist, mag man denken, wie der Chor in der antiken Tragödie.

Und was ist die Botschaft? Antwort Nicoleta Craita Ten’o: „Die kleine Botschaft, die ich dem Buch mitgebe, ist: Was kann man damit anfangen? Was will man damit anfangen? Schließlich bringt es Verleger Büngen auf den Punkt: „Das Buch ist ein Abenteuer.“

„Die Wäsche wäscht sich währenddessen“ von Nicoleta Craita Ten’o ist im Geest-Verlag Vechta erschienen, hat 168 Seiten und kostet 11 Euro.