Zur Lesung von Barbe Maria Linke im Kunstverein Hoyerswerda

Linke-Roman macht Geschichte im Heute lebendig

 

Der Roman "Moses - Ein Experiment", ein Kaleidoskop von Geschichten, die 3000 Jahre überspannen, bildete den würdigen Auftakt für das neue Veranstaltungsjahr des Kunstvereins. Die Vorstellung des Werkes übernahmen im Kaminsaal des Hoyerswerdaer Schlosses die Berliner Autorin Barbe Maria Linke und ihr Ehemann Dietmar, der sie mit sanfter Klaviermusik begleitete. Beide sind seit Jahren feste Partner des Kunstvereins.

Sehr unterschiedliche Figuren hat Barbe Maria Linke in ihrem Roman versammelt. Da ist die junge Schweizer Journalistin Kati, die als Kind in der DDR lebte und jetzt ihren libanesischen Freund Hugo hat, den sie bald heiraten will. In dieses Leben, das von verschiedenen Kulturen geprägt ist, platzt Moses, der tatsächlich aus biblischer Vergangenheit in die Gegenwart katapultiert wurde. Kati hilft ihm, sich im modernen Europa zurechtzufinden, sie verlieben sich, während Hugo im Libanon arbeitet. Kati und Moses nehmen sich gegenseitig in ihre Leben hinein und lernen sich bei ihren Gesprächen selbst besser kennen. Barbe Maria Linke legt den Fokus besonders auf die dunklen Seiten der Familiengeschichten ihrer Figuren. Sie lässt Kati in Berlin die DDR-Vergangenheit ihres Vaters erforschen, der ein hoher Stasi-Offizier war. Welche Schuld hat er auf sich geladen und wie kann seine erwachsene Tochter damit umgehen? Der biblische Moses gilt in der kirchlichen Wahrnehmung vor allem als Lichtgestalt, der seinem Volk, den Israeliten, die Gesetze ihres Gottes Jahwe brachte. Er hat die Israeliten auf Geheiß Jahwes aus Ägypten in die Wüste geführt, um ihre Unterdrückung zu beenden. Aber Moses war auch der Mörder eines ägyptischen Aufsehers, der einen israelitischen Handwerker geschlagen hatte. Von dieser, seiner Schuld erzählt er Kati, obgleich sie 3000 Jahre zurück liegt.

Wegen dieser Erfahrung übernimmt Moses in der Gegenwart keine Führungsrolle mehr, sagte Barbe Maria Linke. Die Theologin hält politische Führer, die im Europa des 20. Jahrhunderts Diktaturen aufgebaut haben, für gefährlich, weil sie das freie Denken der Menschen einschränken. In der Figur des Moses stellt sie auch überzeugend dar, dass sie die Menschen für veränderungsfähig hält. Gutes wie Böses sei in jedem angelegt und damit muss jeder umgehen, sagte die Autorin. Sie las vor: "Der sicherste Schutz, nicht verführbar zu werden, ist, sich der eigenen Schwärze zuzuwenden.... Dadurch verliert das Böse seine Macht." Jeder muss selber denken und eigene Entscheidungen treffen, darf sie nicht von anderen Menschen übernehmen, empfahl sie den zahlreichen Zuhörern, die vor allem aus Hoyerswerda und Spremberg gekommen waren. Aus Spremberg kamen alte Freunde, die Barbe Maria Linke seit Anfang der 1960er Jahre kennen. Sie hat in dem Ort als Apothekenfacharbeiterin gearbeitet, das Abitur nachgeholt, um Theologie zu studieren und ihren Ehemann gefunden. Die Hoyerswerdaer Zuhörerin Annerose Vogel sagte nach der Veranstaltung, dass sie sich durch das ausdrucksvolle Vorlesen und die plastische Sprache gut in die Geschichte hineinversetzen konnte.

Katrin Demczenko/dcz1