10.01.2025 - aktueller Autor - Sönke Zander



Der Autor Sönke Zander stammt aus Nordenham, er hat bereits einiges an Werken publiziert: wissenschaftliche Arbeiten, Theaterstücke, einen Erzähl- und einen Lyrikband. Beruflich war er nach einem Intermezzo bei der Seefischerei und der Küstenschifffahrt wissenschaftlicher Assistent für Didaktik der deutschen Sprache in Bremen, später Lehrer an verschiedenen Schulen. Stationen seines Lebens (von Berchtesgaden bis zur Wesermarsch) begegnen uns auch in seinem Roman.

 

Einen faszinierenden Roman legen wir mit Sönke Zanders Roman Die Irrfahrten des Herrn Adomait vor. Erzählt wird die ergreifende und zugleich mitreißende Geschichte der Kunstfigur Hajo Adomait, der sich nach seiner Alzheimer-Diagnose auf die Fahrt durch Stationen seines Lebens macht. Tolle Handlungssequenzen, tiefgreifende Gefühlsmomente auf dem Boden der Alzheimer-Auseinandersetzung. Einen Roman, den man einfach gelesen haben muss. Trotz seiner Länge (über 500 Seiten) gibt es keinen Moment der Langeweile. Zeitgeschichte, die reflektiert wird, das Miteinander in der Alzheimner-Situation, Auseinandersetzungen mit Landschaften, Städten, Menschen, aktuellen politischen Situationen.

Sönke Zander

Die Irrfahrten des Herrn Adomait

Geest-Verlag 2020

ISBN 978-3-86685-740-7

ca. 560 S., 15 Euro


 http://geest-verlag.de/buecher/zander-s%C3%B6nke-die-irrfahrten-des-herr...

Nun hatte er also Gewissheit. Seine Zerstreutheit, seine Vergesslichkeit, seine Schwierigkeiten neulich, als er in Oldenburg den Weg zur Praxis seines Urologen nicht mehr wiederfinden konnte, alles das hatte jetzt eine Erklärung: Er hatte Alzheimer. Noch nicht sehr fortgeschritten, hatte der Neurologe mit dem grotesk unpassenden Namen Glücksmann gesagt, zu dem er eigentlich wegen ganz anderer, vom Kopf weit entfernter Probleme gekommen war, nämlich wegen Nervenstörungen in den Beinen.
Die wurden als Polyneuropathie diagnostiziert und gerieten dann völlig in den Hintergrund wegen dieser anderen unheimlichen Krankheit. Das Alzheimer-Syndrom sei bei ihm noch nicht sehr ausgeprägt, mit regelmäßigen Gedächtnisübungen, unterstützt durch bestimmte Medikamente und mit ein paar simplen, aber wirksamen Hilfsmaßnahmen, werde er noch für eine ganze Weile ohne viel fremde Hilfe zurechtkommen. Er müsse sich halt alles auf-schreiben, was für seinen Alltag wichtig sei.
„Eigentlich geht es Ihnen da nicht viel anders als mir. Was ich mir nicht aufschreibe, das vergesse ich auch immer öfter. Manchmal habe ich den Eindruck, die Löcher in meinem Hirn werden von Tag zu Tag größer.“
Nur dass die Löcher in seinem Hirn nur metaphorische Löcher waren, simple Gedächtnislücken, entstanden aus der Gegenwehr des Gehirns gegen allzu viele Informationen von allen Seiten. Die in Adomaits Gehirn waren aber wirkliche Löcher. Sein Gehirn würde irgendwann aussehen wie ein Schweizerkäse.
Er wollte nun wissen, wie lange er noch in dem Zustand bleiben werde, in dem er sich augenblicklich befand. Jetzt hatte er eigentlich noch keine größeren Probleme. Sein Gedächtnis war schon immer unzuverlässig gewesen, sein Personengedächtnis sogar miserabel, was ihn in seinem Beruf oft genug behindert hatte. Als er noch im Schuldienst gewe-sen war, hatte er in seinem Notizbuch schon immer bei den Namenlisten Eintragungen gemacht wie „groß und breit“, „stark geschminkt“ oder „im Stimmbruch“, weil er sich we-der Namen noch Gesichter merken konnte. Mit solchen Schwierigkeiten kam er also klar. Auch zu dem Urologen in Oldenburg hatte er schließlich hingefunden, indem er einen Taxifahrer befragt hatte. Im Übrigen hatte er jetzt ein Navigationsgerät im Auto, das ihm schon gute Dienste geleistet hatte.
Dr. Glücksmann sagte noch einmal, in dem jetzigen Stadium der Krankheit werde er nur selten auf fremde Hilfe angewiesen sein, er müsse sich eben auf die Behinderung einstellen, sein Denkvermögen funktioniere ja, wie der Test ergeben habe, noch recht gut.
Das „noch“ traf Adomait wie ein Dolchstoß. Die Verläufe dieser Krankheit seien sehr unterschiedlich, aber es könne gut sein, dass sein Zustand noch für ein bis – er zögerte etwas – zwei Jahre ziemlich unverändert bleibe. Der klinische Befund sei bei ihm noch ziemlich unauffällig, obwohl aller-dings die bildgebenden Verfahren schon Veränderungen seiner Gehirnstruktur sichtbar gemacht hätten. Aber ir-gendwann im Laufe des zweiten Stadiums werde er zunehmend auf Hilfe angewiesen sein. Er solle sich also schon möglichst bald um entsprechende Hilfskräfte und Vertrau-enspersonen bemühen. Und dann sei es natürlich auch mit dem Autofahren vorbei.
Über das letzte Stadium sprachen sie nicht, aber Adomait dachte daran, und der Doktor, da war er sich sicher, auch.
Eine kurze Stille trat ein.
Ob er allein lebe, wollte der Arzt dann wissen. Und als Adomait das bejahte, gab er ihm eine Liste mit Adressen von Hilfseinrichtungen und Selbsthilfegruppen und eine bunt bebilderte Informationsbroschüre. Dann fügte er noch hinzu, dass die Entwicklung der Krankheit nicht immer line-ar verlaufe, sondern oftmals auch in Sprüngen. Sprunghafte Verschlechterungen würden durch große Aufregungen oder traumatische Ereignisse begünstigt. Und übrigens seien auch alkoholische Exzesse zu vermeiden.
Als Adomait sich verabschiedete und die Tür schon geöff-net hatte, rief der weiß gewandete Olympier ihm noch zu: „Mit Gewalt kann man gegen Alzheimer nichts erreichen. Sie müssen listig sein wie Odysseus, dann können Sie für einige Zeit durchaus noch ein lebenswertes Leben führen. Dafür wünsche ich Ihnen Glück, Herr Adomait.“