1000 AUF 1000  GEFANGENENTAUSCH

 

Für Juri Schewtschuk

 

Diese Gesichter, es war Mal ein Gesicht,

Angesicht zu Angesicht, ein Antlitz. Was

ist daraus geworden, welche Panzerraupen

schlitten darüber, welche Krallen fuhren

über die Wangen, die Stirn, ein Kahlschlag

nach dem Anlaschen, Roden. Es  war Mal

ein Gesicht, ein Ebenbild, ein Gegenüber.

Mobilisiert, Kontrakt unterschrieben mit

eigen Blut, die Kolonie getauscht mit der

Front. 12 Monate gefangen im Nachbarland.

Nicht gehungert, nicht gefroren, nicht gesungen

oder Schach gespielt? Geschlafen. Gepinkelt

in einen Strom. Wer wartet zu Hause: Keiner,

Schwester vielleicht, Matuschka, falls sie noch

sehen kann & mich erkennen. Die Verflossene

wartet nicht, längst über die Berge Georgiens.

Alles fließt, wie meine Pisse-Philosophie, die

Wolga, Moskwa-Fluß, Dnepr. Diese Physionomie,

eher Physiognomie deformiert, verwechselbar

gleich Kopijka//Rubel auf dem Schwarzmarkt

am Schwarzmeer, in Mariupol. Eine Maske

bei der Russen-Demo in Berlin. Heimat, Rodina*,

das war Mal, ein Muttermal an der dicken Lippe,

ein Tau- & Blutstropfen am großen Zeh. Babuschka

auf dem Basar von Stanzija Iwanowka, die

Kartoffeln verkauft, den Tag, länger als ein

Leben, an der Theke vorüber ziehen lässt, das

ist Rodina & nicht der Arsch des Präsidenten,

entblößt für den heiligen Kuss des Judas Iudowitsch**.

 

25.05.2025

 

* russ., Heimat. Ein Wort verwandt mit Begriffen wie Muttermal, Tautropfen

** In Russland werden Vatersnamen (Patronymie) nach dem Vornamen des Vaters abgeleitet und sind ein fester Bestandteil des Namens. Die Anrede in Russland erfolgt in der Regel mit Vornamen und Vatersname, was als sehr höflich gilt.